"LESEPROBE"

Heinz Keßler: Die letzten Tage der SED und der Deutschen Demokratischen Republik

Abschrift eines Interviews mit Heinz Keßler

Letzte Beratung des Politisch Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages im September 1989

Ich gehe aus von der letzten Beratung des Politisch Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages im September 1989 in Bukarest, weil mir auf dieser Beratung zum erste Mal - jedenfalls in aller Deutlichkeit - klar wurde, dass es in den Parteien im Rahmen des Warschauer Vertrages grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten gibt.

Auf dieser Beratung machte der offizielle Vertreter der Ungarischen Kommunistischen Partei namens Hörn ganz offiziell den Vorschlag und ließ erkennen, dass er davon nicht abzubringen sein würden - dass sie die Grenze öffnen werden. Es gab dazu keine große Diskussion, und Gorbatschow reagierte auf die Gedanken dieses "Genossen" Hörn mit der Feststellung: "Wir haben ja schon vor längerer Zeit beschlossen, dass jede Partei selbständig entscheidet über ihre Innen- und Außenpolitik." Dann war eine Pause, und in dieser Pause gab es unterschiedliche Gruppen. Und eine Gruppe setzte sich zusammen aus Shivkow, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Bulgariens, aus Erich Honecker, dem Vorsitzenden der SED und Ceausescu, dem Führer der rumänischen Kommunisten. Die drei waren außer sich, empört.

Dann war die Pause zu Ende und das Ganze ging aus wie das Hornberger Schießen. Der Vorschlag von diesem Hörn wurde vor allem durch die Autorität der sowjetischen Delegation, die sich zusammensetzte aus Gorbatschow, Schewardnadse und den anderen Leuten, ohne weitere Diskussion sanktioniert - und die Sache war zu Ende. Alle waren irgendwie schockiert, einige, wie gesagt, empört. Nun kommt ein nächster Punkt: Es war eine - finde ich gute - Tradition, dass nach der offiziellen Beratung der Repräsentanten des Warschauer Vertrages (die Delegationen setzten sich unterschiedlich zusammen), eine Beratung stattfand der ersten Sekretäre bzw. Generalsekretäre der Parteien. Und ich wusste, dass Genösse Erich Honecker auf dieser Beratung prinzipiell die Forderung aufstellen wollte, dass die Parteien des Warschauer Vertrages geschlossen und entschieden gegen alle ideologischen und sonstigen Angriffe der NATO-Staaten, vor allem der USA, Stellung nehmen und dementsprechend ihre Politik gestalten müssten. Wäre es dazu gekommen, wäre es zu einer harten Auseinandersetzung gekommen gerade mit den damaligen noch-verantwortlichen sowjetischen Leuten, also Gorbatschow, Schewardnadse und so weiter. In der Nacht - nach dem Ende der Sitzung des Politisch Beratenden Ausschusses - zum nächsten Tag, an dem diese Beratung der Parteiführer stattfinden sollte, wurden wir, die Mitglieder der Delegation der Deutschen Demokratischen Republik, geweckt. Ich wurde gebeten, so schnell wie möglich in das Zimmer des Genossen Stoph zu kommen, der der stellvertretende Leiter der Delegation war. Ich wusste nicht, warum. Ich habe mich angezogen, und als wir uns im Zimmer das Genossen Stoph versammelt hatten, eröffnete er uns, dass der Genösse Honecker schwer krank geworden sei, nicht einmal mehr in der Lage sei, auf eigenen Füßen zu stehen und in Folge dessen nicht mehr hier bleiben könne. Die rumänischen Genossen haben ihn in das entsprechende rumänische Krankenhaus in Bukarest gebracht, die Ärzte dort hatten erklärt, dass er, wenn die entsprechende Vorsorge getroffen würde, transportfähig sei. Stoph schlug vor, basierend auf dieser Mitteilung der Ärzte, den Genossen Erich Honecker mit einem Flugzeug der DDR sofort nach Berlin zu bringen und als Begleiter aus der Delegation sollte der Genösse Krenz mitfliegen. Wir waren alle sehr erschüttert - ich besonders, weil ich zuvor die Probleme des Gesundheitszustandes des Genossen Erich Honecker so nicht gesehen habe - und wir haben diesem Vorschlag zugestimmt. Es wurden alle Maßnahmen eingeleitet für den Rücktransport.

Auf meine Frage an den Genossen Stoph, wie er sich denn verhalten wird bei der Beratung der ersten Sekretäre bzw. Generalsekretäre, kam die Antwort: da er das nicht sei, werde er dazu nicht Stellung nehmen. Die Tagung ist dann genauso ausgegangen wie die Tagung des Politisch Beratenden Ausschusses. Wir fuhren zurück. Zu der Zeit gab es schon eine Reihe von schwierigen, negativen Erscheinungen in der DDR, Unzufriedenheit auch zum Teil in den Grundorganisationen der Partei, in den Betrieben und so weiter und so fort, und jetzt trat etwas ein, was ich bei Erich Honecker nicht verstanden habe. Es ist nebenbei gesagt das einzige, was ich bei ihm nicht verstanden habe. Es wurde mit der Führung des Politbüros und des Sekretariats der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands der Genösse Günter Mittag beauftragt, und nicht, wie alle glaubten, Egon Krenz. Egon Krenz war zu dieser Zeit, als welchen Gründen auch immer, in Urlaub. Und die ganze Zeit führte Günter Mittag.

Die Lähmung des Politbüros des ZK der SED

Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war es ausnahmslos nicht nur erwartet, sondern vorbereitet worden, dass Egon Krenz der Nachfolger von Erich Honecker wird. Aber von diesem gewissen Zeitpunkt an - so sehe ich das - merkte Erich Honecker, dass Gorbatschow und die Seinen hier bei uns in der DDR eng zusammenwirkten. Und Erich Honecker gehört zu denen, die mit als erste in der deutschen Partei, also der SED, erkannt haben, dass die Politik der Perestroika und Glasnost in die Irre führt, ja zur Niederlage führen kann. Er hat mit mir darüber ein paar Mal diskutiert.

Das Politbüro bestand weiter in der alten Besetzung, Krenz war nicht anwesend, Mittag führte, und nun will ich nicht bestreiten oder in Abrede stellen, dass Mittag von Ökonomie sehr viel verstand, aber von Politik - glaube ich - hat er nicht sehr viel verstanden und menschlich war er nicht der Angenehmste. Erich Honecker kam inzwischen aus dem Krankenhaus - mit strenger Weisung der Ärzte, sich nicht an der aktiven Parteiarbeit oder Staatsführung zu beteiligen, und er ging in die Residenz des Staatsratsvorsitzenden am Döllnsee, wurde dort informiert, gab er auch hier und da Hinweise. Und jetzt rede ich von mir: Ich merkte, dass die Parteiführung, die Führung des Sekretariats, eben initiiert von Mittag, im Grunde genommen so tat, als sei nichts passiert. Es geht nicht um mich, aber ich muss sagen: ich war verzweifelt. Ich habe dann auf allen möglichen Wegen versucht, ein Gespräch mit Erich Honecker zu bekommen. Die Ärzte haben mich im guten Sinne des Wortes alle rausgeschmissen, haben gesagt: „Das geht nicht". Ich habe dann keinen anderen Weg gefunden, als meine Freundin, Margot Honecker anzurufen und sie zu fragen, ob sie mir helfen kann, dass ich 15 Minuten mit ihm reden kann. Sie versprach mir, es zu versuchen, Honecker hat zugestimmt. Ich bin dann rausgefahren zum Döllnsee. Erich Honecker hat mich dort empfangen, wir waren ja Freunde neben der Tatsache, dass wir Genossen waren, er machte physisch einen verhältnismäßig vernünftigen Eindruck, und ich hatte mir damals (leider habe ich das vernichtet) 13 Punkte aufgeschrieben. Der Schwerpunkt dieser 13 Punkte war, die Partei zu mobilisieren, die Führung muss raus, in die Betriebe, in die Grund- Organisationen der Partei, wir müssen offen über unsere Probleme reden und müssen uns dazu bekennen, dass Glasnost, dass Perestroika in die Irre fuhren.

Als er sich das angehört hatte, ging er zu seinem provisorischen Schreibtisch, und sagte: "Ich habe auch 12 Punkte. Das sind die 12 Punkte, die ich in Bukarest vor den ersten Sekretären der Parteien darlegen wollte." Und, sieh da, die 12 Punkte deckten sich fast mit meinen 13 Punkten. Ich sagte: "Erich, das ist alles schön und gut, aber Du bist jetzt noch nicht da." -"Aber ich komme bald wieder!" Er war sehr optimistisch. Ich sage: "Aber es weiß niemand, wie lange die Ärzte das noch untersagen." Da antwortet er: "Ich werde dem Mittag die Weisung geben, diese 13 Punkte zu behandeln!"

Er hat das auch gemacht. Und in der folgenden Politbürositzung waren alle möglichen Tagesordnungspunkte, und dann sagte Mittag: "Wir haben hier noch zur Behandlung einen Vorschlag des Genossen Heinz Keßler, das schaffen wir aber heute zeitlich nicht, wir haben alle noch zu tun. Aber wir werden das morgen in der Sekretariatssitzung behandeln." Es war immer so: Dienstag war Politbüro-, Mittwoch war Sekretariatssitzung. Beim Sekretariat war ich nicht dabei, weil ich nicht dazugehörte. Im Sekretariat wurde Krenz vertreten von Herger, dem Leiter der Sicherheitsabteilung. Und der rief mich am Mittwoch Nachmittag an und sagte: "Heinz, Deine Vorschläge kannst Du vergessen." Ich frage: "Warum?" Da sagt er: "Weil er sie nicht behandelt hat. Nicht hat behandeln wollen." Das ist ein Kapitel.

Nun kommt ein zweites Kapitel. Das sieht so aus, als habe es mit der ganzen Sache nichts zu tun. Aber bei näherer Betrachtung hat es damit etwas zu tun. 1989 im Frühjahr gab es einen formellen Beschluss, dass der Genosse Keßler als Verteidigungsminister offiziell die Sozialistische Republik Kuba besucht.

Verteidigungsminister Keßler wird "weggeschickt" nach Nicaragua und Cuba

Zu den Feierlichkeiten des 40. Jahrestages der Gründung der DDR wurden die Politbüromitglieder und andere führende Genossen immer eingeteilt, wer welche ausländische Delegation betreut. Das war ganz normal. Ich wurde eingeteilt zur Betreuung der Delegation um Daniel Ortega aus Nicaragua, denn ich kannte sie schon aus anderen Begegnungen. Mit denen aß ich also Abendbrot, da sagt Ortega zu mir: "Heinz, ich habe gehört, Du fährst nach Kuba." "Ja, hast Du was dagegen?", frage ich ihn. "Nein, aber eins kann ich Dir sagen: wenn Du das nicht verbindest mit einem Besuch in Nicaragua, werde ich dafür sorgen, dass Du auch nicht nach Kuba darfst." Das war natürlich im Scherz gesprochen, aber das Anliegen war ernst. Ich sage: "Ich kann mich doch nicht selber vorschlagen, nach Nicaragua zu fahren. Das bestimme doch nicht ich, das bestimmt die Parteiführung und der Generalsekretär." Ortega: "Gut, ich rede mit denen." Also hat er mit ihnen geredet, und Erich Honecker hat die Reise nach Kuba ergänzt: auch Nicaragua. Ich sollte donnerstags fahren. Am Dienstag davor war eine Politbürositzung, die Lage der DDR war schon ziemlich kritisch. Deswegen wandte ich mich an Egon Krenz, der wieder da war, der parteimäßig verantwortlich war für Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Ich frage ihn: "Ist das richtig, dass ich dahin fahre angesichts der Lage? Ich bin der Ansicht: nein." "Ach", sagt Krenz, "Du kannst ruhig fahren." Dann habe ich meinen formalen Vorgesetzten gefragt, den Stoph, der hat mir dasselbe geantwortet. Dann dachte ich, fragst Du mal den Mielke. Der sagte: "Du kannst ruhig fahren." Ich war dann unschlüssig, ob ich den Erich damit belasten sollte, ich habe ihn dann aber trotzdem gefragt. Erich sagte: "Ich sehe darin kein Problem. Wir haben es den Kubanern versprochen." Es ging ja nicht nur um einen Besuch, sondern um organisierte Hilfe und was alles so war. Er sagte: "Fahre ruhig. Das stärkt die Autorität der DDR, wir können helfen, Du hast ein großes Ansehen" und so weiter.

Also bin ich gefahren. Am Dienstag danach hat Stoph in der Politbürositzung (ich war nicht dabei, weil ich ja auf Reisen war) den Antrag eingebracht, unterstützt von Krenz und noch ein paar anderen, Honecker abzulösen. Später habe ich von einem sowjetischen Genossen erfahren, dass zwischendurch Harry Tisch unter irgendwelchem Vorwand in Moskau war bei Gorbatschow und Schewardnadse und dort gefragt wurde: "Läuft alles?" Er hat geantwortet: "Ja." "Und Keßler?" Da sagt Harry Tisch: ";Den haben wir weggeschickt." Denn ich hätte nie zugestimmt.

Am Mittwoch nach dieser Politbürositzung, ich war erst nach Nicaragua gefahren (mit Einverständnis der kubanischen Genossen) kommt der Botschafter der DDR in Nicaragua zu mir und bringt mir ein Fernschreiben: "Sofort zurückkommen! Es findet in den nächsten Tagen eine ZK-Sitzung statt."

Also habe ich mich auf die Socken gemacht und bin über Havanna zurückgeflogen. In Havanna Zwischenlandung - und unter an der Gangway, das war völlig unprotokollarisch, stand zu meiner großen Überraschung Fidel Castro. Ich hatte ihn vorher schon zwei, dreimal gesehen. Er begrüßte mich sehr herzlich und sagte: "Heinz, so viel Zeit musst Du noch haben, dass wir ein bisschen miteinander reden können. Die anderen Genossen und der Raul kommen noch." Da sind wir in den vorbereiteten Raum gegangen. Und da sagt er zu mir folgendes: "Ich weiß nicht genau, was bei Euch vor sich geht. Aber ich glaube, es geht Schlimmes vor sich." Und er warnte mich und sagte - auf deutsch gesagt: Da musst Du Dich warm anziehen. "Ich wünsche Dir viel Kraft und Standhaftigkeit".

Honeckers Absetzung, mein Parteiausschluss und die erste Inhaftierung

Schließlich bin ich zurückgeflogen. Und dann fand diese ZK-Sitzung statt, wo offiziell beschlossen wurde, Honecker aus gesundheitlichen Gründen abzulösen, einige Genossen wurden aus der Partei ausgeschlossen, und nach langer Diskussion - dem habe ich auch zugestimmt - Krenz als Generalsekretär gewählt. Die Schlussfolgerung, die ich daraus ziehe, und das ist heute belegt: Einige haben das alles bewusst gemacht, andere waren sich der Tragweite, dazu zähle ich Krenz, nicht voll bewusst. Aber sie haben in der Parteiführung eine Fraktion gebildet. Es gibt eine ganze Reihe Genossen, die davon nie etwas gewusst haben. Ich zum Beispiel. Obwohl ich mit Krenz an sich befreundet war. Nun wurde ein neues Politbüro gewählt mit allen möglichen Figuren, darunter auch Hans Modrow. Hans Modrow hat von der ersten Sitzung an ins Zentrum gestellt: "Die Zeit ist vorbei, wo die Partei bestimmt, was die staatliche Führung, also der Ministerpräsident und die Regierung macht." Und er war innerlich erregt und böse, dass er nicht zum Generalsekretär gewählt wurde. Das hat er mir auch einmal zu verstehen gegeben.

Nun muss ich noch etwas dazwischenschalten. Am 4. Oktober 1989 - das war alljährlich so - war immer die Generalprobe der Militärparade. So etwa 10 Minuten oder eine Viertelstunde vor Beginn der Generalprobe kommt ein Genösse zu mir und sagt, ich solle ans Telefon kommen. Da ich glaubte, dass irgendetwas Ernstes war, da die Lage in der Republik ja so war, habe ich alle Kollegiumsmitglieder meines Ministeriums gebeten, mitzukommen. Ich gehen also ans Telefon, dran war Mielke, und der sagte: "Der Modrow möchte mit Dir sprechen." Modrow sagte: "Ich habe hier in Dresden eine sehr schwierige Situation mit Zusammenballungen von Menschen. Ich werde mit den mir zur Verfügung stehenden Kräften mit der Lage nicht fertig. Kannst Du mir helfen?" Da habe ich - im Beisein des Kollegiums - entschieden: "Ja, ich helfe Dir", denn wir hatten dort genügend Einrichtungen und Menschen, "aber ohne Waffen, Schlagstöcken oder sonst was, nur Personen." Ich habe dem Leiter der Militärakademie "Friedrich Engels" die Weisung gegeben, sich bei Modrow zu melden und ihm mit Menschen zur Absperrung und so weiter zu helfen. In dieser Nacht, früh um vier ungefähr, als ich wieder zu Hause war, rief mich Modrow an und hat sich für die Hilfe bedankt.

Als ich das erste Mal eingesperrt wurde - noch in der DDR! - gibt Modrow der »Berliner Zeitung« ein Interview. Er wird gefragt, wie das damals in Dresden am 4. Oktober war. Da erklärt er, er habe damit nichts zu tun. Das sei allein Sache von Friedrich Dickel, dem Innenminister, von Keßler und Mielke gewesen. Nun kommt hinzu: Ich wurde am 24. Januar 1990, zwei Tage vor meinem 70. Geburtstag, eingesperrt, zu der Zeit, als Hans Modrow Ministerpräsident der DDR war, unter sehr widrigen Bedingungen. Ich will die hier nicht schildern. Es war mindestens so schlimm wie in Moabit, wenn nicht schlimmer.

Früh um acht Uhr, die Enkel waren gerade bei mir hier zu Hause, kamen vier Staatsanwälte, haben Hausdurchsuchung gemacht, einer hat mich dann noch so blöde gefragt, warum ich eine Bibel im Haus hätte (die Antwort brauche ich Euch nicht geben), und zeigte mir dann einen Haftbefehl. Ich wurde verhaftet aus zwei Gründen: Erstens, weil ich Volksvermögen mit der Jagd vergeudet hätte und zweitens, weil ich mir hier zu Hause eine Sauna hätte einbauen lassen. Nun weiß die ganze Welt, dass ich kein Jäger bin. Das ist nicht meine Welt. Und eine Sauna habe ich auch nicht.

So, und dann haben die mich verhört, alles unsere Leute, DDR-Staatsanwälte - und zwar im Gefängnis des Polizeipräsidiums in Berlin. Dann haben sie folgendes gemacht: Sie haben mir erklärt, dass das Ministerium für Verteidigung wie die anderen Ministerien auch ein Jagdgebiet hatte. Ich habe mich nie darum gekümmert, weil mich das nicht interessiert hat. Ich war zwar verantwortlich, habe mich aber nicht dafür interessiert. Und im Winter muss das Wild gefüttert werden, da gibt es Normen und so weiter. Und dann wird über den Winter soundsoviel solches Zeug und solches Zeug verbraucht, summa summarum runde 80.000 Mark. Für diese Verschwendung von Volksvermögen trüge ich die Verantwortung. Dann haben sie mich aus dem Polizeipräsidium rausgenommen und mich nach Hohenschönhausen in das Staatssicherheitsgefängnis gebracht.

Etwa Ende April kam der Staatsanwalt zu mir, der selbst ein passionierter Jäger war, und sagte: "Kollege Keßler", - er sagte nicht mehr "Genösse" -, "Sie werden morgen entlassen." Da sage ich: "Ich werde aber nicht gehen." Er: "Wieso das? Jeder ist doch froh, wenn er aus dem Gefängnis rauskommt." Ich wieder: "Ich gehe erst, wenn der Generalstaatsanwalt dieser Modrow-Regierung eine Erklärung abgibt, dass die Anschuldigungen alle falsch waren." Denn vorher wurde eine Riesen-Kampagne gemacht wegen Korruption und so weiter. Nach langem Hin und Her haben Sie so eine Erklärung gemacht, sie haben sie mir sogar gezeigt, ich habe sie korrigiert - aber die Erklärung wurde nicht veröffentlicht. Da habe ich gesagt: "Gebt mir eine Kopie", und dann haben Genossen mit Hilfe meines Sohnes diese Kopie den Nachrichtenbüros zugespielt, die haben sie dann veröffentlicht. Vorher hatten einige Genossen, vor allem Krenz, stark darauf gedrängt, dass ich in die Regierung Modrow gehe, sozusagen als Feigenblatt. Da habe ich erklärt, dass ich in diese Regierung nicht gehe, weil ich merkte, wo die Reise hingeht - was sich später ja auch zeigte. Im November bin ich zurückgetreten als Minister und von allen meinen politischen Funktionen. Es wurde dann eine offizielle Kollegiumssitzung meines Ministeriums durchgeführt, auf der ich mich verabschiedete. Sie haben mich gebeten, einen Vorschlag für die Nachfolge zu machen. Ich dachte, ich mache einen guten, ich habe aber keinen sehr guten gemacht: Hoffmann. Und ich sollte noch vier oder fünf Wochen im Ministerium bleiben, ich sollte ein bisschen helfen einarbeiten.

Bevor sie mich eingesperrt haben, bin ich "natürlich" aus der Partei ausgeschlossen worden. Ich bekomme einen Brief von dem Vorsitzenden der Schiedskommission, und es waren schon die neuen Leute da, Schumann, Gysi und so weiter, da stand drin: "Gegen Dich läuft ein Parteiverfahren. Grund: Antisowjetische Haltung." Ausgerechnet ich! Ich gehe also dahin, wo sie mich hinbestellt haben, es waren auch andere Genossen da, die ebenfalls ausgeschlossen werden sollten. Ich komme also da hin: die Schiedskommission ein wilder Haufen. Der Vorsitzende fängt an: antisowjetische Haltung. Ich sage: "Pass mal auf, wir müssen mal unterscheiden. Meinst Du die Sowjetunion oder meinst Du Gorbatschow? Wenn Du Gorbatschow und die Seinen meinst, dann stimmt es." Und den haben sie gemeint, und so haben sie mich rausgeschmissen. Einer der wenigen, der gegen meinen Parteiausschluss gestimmt hat, war Täve Schur, das hat mich gefreut.

Meine zweite Inhaftierung, der Prozess und die Verweigerung der Solidarität durch Gorbatschow

Am zweiten Pfingstfeiertag 1990, wir hatten hier in der DDR inzwischen die De-Maiziere-Regierung, waren meine Frau und ich in Strausberg zu Besuch bei unserem Sohn. Als wir wieder nach Hause kamen, stellten wir fest, dass die Türen alle aufgebrochen waren, alles durchwühlt und durchsucht war. Vorn an der Tür waren neue Schlösser eingebaut worden und eine Nachricht hinterlassen: Der Schlüssel ist abzuholen auf dem Polizeirevier dort und dort. Dann sind meine Frau, mein Sohn und ich dorthin gefahren auf dieses Polizeirevier, die haben mir dort freundliche Guten Tag gesagt und mir einen Haftbefehl gezeigt. Begründung des Haftbefehls: Fluchtgefahr. Dann haben sie mich in die "grüne Minna" gebracht und mich in ein Polizeigefängnis in Berlin gefahren, wo die Besoffenen und so weiter alle hingebracht werden für eine Nacht. Und am übernächsten Tage haben sie mich nach Moabit gebracht. Dort habe ich dann auch Stoph gesehen und alle Möglichen, die sind aber alle dann rausgelassen worden. Die einzigen, die drin geblieben sind waren Strelitz, ich und ein gewisser Genosse Albrecht, der Erste Sekretär der Partei in Suhl.

In dieser Zeit hat Modrow noch einmal eine Erklärung zu diesem 4. Oktober abgegeben: dass er im Recht sei. Da habe ich ihm sagen lassen, dass er, wenn er das so weitermacht, etwas erleben könne. Als ich das erste Mal eingesperrt worden war, als er Ministerpräsident war, haben meine Frau, die Ruth, die eine alte Genossin ist, und unser Sohn ihm einen Brief geschrieben. Er hat noch nicht einmal geantwortet. Hier kurz eine aktuelle Ergänzung: Ich habe kürzlich etwas gelesen, eine "Erklärung" nennt sich das glaube ich, vom Ältestenrat der Partei der Linken. Nun muss man wissen: der Vorsitzende des Ältestenrates ist jetzt Modrow. Diese Erklärung sagt , ja, die DDR und so weiter und so weiter; und dann: aber, aber, aber...", diese Erklärung ist so geschickt gemacht, so raffiniert, dass allen Opportunisten, allen Revisionisten damit Raum und Platz gegeben wird. Das heißt, Modrow setzt noch heute das fort, was er damals begonnen hat. Er hat zum Beispiel vor einigen Wochen in Ziegenhals vor der Thälmann-Gedenkstätte gesprochen. Es waren ca. 200 Genossinnen und Genossen dort -und die wollten den verprügeln, denn der hat gegen Thälmann geredet. Er hat Thälmann bezichtigt, ein Anhänger Stalins gewesen zu sein, und dass es auch unter Thälmann große Fehler gab. Da wollten sie ihn verprügeln. Ich habe selber eine Genossin festgehalten und gesagt: "Das macht Ihr nicht. Ihr könnt schreien, brüllen, aber verprügeln - das macht Ihr nicht."

Aber zurück zur Situation 1990: Einige Beamte in Moabit sagten im Gefängnis zu mir: "Dein Honecker kommt auch noch hierher." Und wenn ich an alles geglaubt hätte - daran habe ich nicht geglaubt. Aber sie haben Recht behalten. Er kam dann, wir haben uns aber nie gesehen. Strelitz, Honecker und ich waren so unterschiedlich untergebracht, dass wir uns nie gesehen haben. Wir haben uns das erste Mal gesehen am ersten Verhandlungstag, da waren im Gerichtsgebäude so Sammelzellen und da haben sie uns alle drei hineingebracht. Dort hat uns der Genösse Honecker die Konzeption seiner ersten Rede gegen die Anklageschrift dargelegt und nach unserer Meinung gefragt. Wir waren einverstanden, es war eine gute Rede.

Zur Verteidigung haben der Genösse Strelitz und ich, als der Prozess gegen uns lief und wir wussten, dass sich Gorbatschow gerade in der Bundesrepublik aufhielt, durch Mittelsmänner erreichen können, dass wir ihm einen kurzen Brief übergaben haben, in dem wir um weiter nichts gebeten haben, als dass er im Prozess gegen Honecker, Strelitz, Albrecht und mich als Zeuge auftritt - als Oberkommandierender der Vereinten Streitkräfte der Länder des Warschauer Vertrages. Er hat uns durch Mittelsmänner antworten lassen, dass das nicht mehr Sache der Sowjetunion, sondern eine Sache der Deutschen sei. Dann haben wir uns an Kulikow gewandt, einen ehemaliger Oberkommandierender der Vereinten Streitkräfte, zu dem wir ein gutes Verhältnis hatten: Ob er als Zeuge im Prozess auftreten würde. Er war nach 1990 eine Zeit lang verantwortlich für die Gräberfürsorge und in dieser Sache zu Besuch in der Bundesrepublik. Die Antwort war: "Das ist allein Sache der Deutschen."

Wir hatten Illusionen gehabt

Nun will ich zu einem anderen Thema kommen: zu unserer Selbstüberschätzung. Wir hatten natürlich einen ganz anderen Anfang des Aufbaus der antifaschistisch-demokratischen Ordnung, des Übergangs zum Aufbau des Sozialismus als zum Beispiel Kuba. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Ende Juli 1945 hier nach Berlin kam, es war furchtbar. Alles war faschistisch verseucht, bei manchen war es unbewusst, aber das Denken war faschistisch. Dazu kam, dass viele junge Menschen ihre Eltern verloren hatten, es gab wenig zu essen, ein großer Teil der Stadt lag in Trümmern. So habe ich hier in Berlin angefangen. Ich könnte jetzt stundenlang berichten, wie oft ich zum Beispiel ausgepfiffen worden bin; es war ein schwieriger Anfang. Und dass wir so vorwärts gekommen sind, auch mit Hilfe der damaligen Sowjetunion und der Solidarität vieler Antifaschisten in der ganzen Welt, hat uns ein bisschen - oder mehr als ein bisschen - selbstzufrieden gemacht. In der SED-Führung hat sich eine gewisse - sagen wir etwas überhebliche - Haltung dem Imperialismus gegenüber herausgebildet: Die können uns mal - eine gewisse Selbstzufriedenheit. Wir haben natürlich die Gefährlichkeit des Imperialismus mit all seinen Möglichkeiten gesehen, aber wie geschickt er sie gebrauchen kann, welche neuen Taktiken er anwendet und dass er sehr viel gelernt hat, das haben wir unterschätzt. Es hat sich ein gewisser Automatismus, eine gewisse Bequemlichkeit entwickelt. So haben wir die Dinge nicht richtig ernst genommen und über bestimmte Dinge dann auch nicht ernsthaft gestritten.

Ein Beispiel: Der Vertreter des vereinten Oberkommandos der Staaten des Warschauer Vertrages war ein hervorragender sowjetischer General. Der sagte zu mir, als die Frage stand, Jelzin zu wählen als Präsidenten: "Der kommt nie durch. Den wählen die Bürger der Sowjetunion nicht." Aber er wurde gewählt! Das heißt, hier kommt die Illusion zum Tragen, dass die Gesamtpartei einschließlich des Jugendverbandes, die sowjetische Arbeiterklasse, auch die Bauern und die Intelligenz in ihrer Mehrheit das nicht zulassen würde. Und das war eine fatale Illusion, denn schließlich wurden die KPdSU und der Sowjetstaat faktisch in 24 Stunden liquidiert. Damit hat niemand in unserer Partei gerechnet. Ich muss leider sagen, dass auch ich der festen Überzeugung war - schließlich kannte ich viele sowjetische Genossen - dass die Gorbatschowisten und Jelzin und diese Leute damit nicht durchkommen.

Aber angefangen hat das alles mit dem XX. Parteitag, nach dem der Revisionismus Schritt für Schritt Platz gefunden hat. Und dann haben die Gorbatschow-Leute etwas gemacht, was wir, auch ich, nicht immer richtig eingeschätzt haben. Sie haben ja die Verhandlungen geführt mit den USA, mit der NATO über die Reduzierung, schließlich Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen, also Atomwaffen und so weiter. Und es schien ja so - und so wurde das auch bei uns publiziert -: hier hat das sozialistische Lager Erfolg. Und auch diese Phase der Entwicklung hat bei manchen die Vorstellung entstehen lasse: Vielleicht kann man aus dem Gorbatschowismus doch etwas Gutes machen.

Als es zu spät war, sahen immer mehr Genossinnen und Genossen, dass Gorbatschow ein Verräter und seine Politik die Kapitulation war. Ein Beispiel: Ich war mit dem Genossen Strelitz vor drei oder vier Jahren in Moskau, wir waren eingeladen. Dort gibt es auch einen Bund der Veteranen, und dort gab es mit zehn führende ehemalige Armeeangehörige einschließlich des letzten Ministers eine Aussprache. Darum hatte ich gebeten. Sie haben sich alle zehn bei uns dafür entschuldigt, dass sie uns 1989/1990 - eben im Ergebnis der Politik Gorbatschows - im Stich gelassen haben.

Es ist bedauerlich: Eine solche Chance, wie wir sie mit der DDR hatten, kriegen wir nie wieder. Kapitalismus bleibt nicht, kann nicht bleiben. Aber eine solche Chance kriegen wir nicht wieder.

Drei Schlussfolgerungen:

Aus unseren bitteren Erfahrungen ziehe ich drei wichtige Schlussfolgerungen: Das Schlimmste, was einer kommunistischen Partei - oder in unserem Fall der Sozialistischen Einheitspartei - passieren kann und passieren konnte, ist: dass es in der Parteiführung eine Fraktion gibt. Und die gab es. Sie hat sich zusammengesetzt aus Leichtgläubigen, dazu zähle ich Krenz, weil der offensichtlich wirklich glaubte, dass Perestroika und Glasnost ein Weg sei, und anderen, die nie Kommunisten waren, die nie richtig verbunden waren mit unserer Sache, dazu zähle ich Schabowski, Schürer, Tisch und noch zwei, drei andere. Diese Genossen, ob subjektiv ehrlich oder objektiv feindlich, haben nie eine prinzipielle Diskussion begonnen zu der Frage Glasnost und Perestroika, ja sie haben noch nicht einmal eine Frage gestellt dazu Also: Niemals zulassen, dass in der Partei und besonders in der Führung eine Fraktion entsteht.

Obwohl Erich Honecker als Erster zu mir persönlich gesagt hat: "Entweder der Gorbatschow ist verrückt, oder er ist ein Lump", haben wir die Gefahr unterschätzt. /22/

Erich Honecker - und das war natürlich ein Fehler - war der festen Überzeugung, dass eine Partei, die eine solche Verbindung zum Proletariat und eine solche Vergangenheit und eine solche Entwicklung hat wie die KPdSU, die Partei Lenins und Stalins, nicht von solche Schweinehunden wie Gorbatschow, Schewardnadse und den anderen zugrunde gerichtet werden könnte. Ich will mich nicht freisprechen davon, dass ich - vielleicht nicht so sehr wie er - aber doch auch glaubte, dass wir das schaffen, noch dazu, weil ich viele gute sowjetische Genossen kannte.

Also: Man darf die Gefahr der Konterrevolution niemals unterschätze. Man darf niemals übersehen, dass die Bourgeoisie auch gelernt hat und weiter lernt. Die dritte - und vielleicht wichtigste - Schlussfolgerung, die man ziehen muss, ist die, dass die Parteiführung, das Politbüro und das ZK, entschieden früher offen über die Probleme im Land und im sozialistischen Lager hätte reden müssen, offen, eindeutig - so, wie das die kubanischen Genossen machen. Die sagen: "Es gibt keinen Strom, und wir erklären, warum. Und wir sagen, was wir machen müssen." Also: Das Ohr an den Massen haben /23/. Damit verbunden: die Partei muss immer wirklich wissen, was die Arbeiter, die Werktätigen denken und vor allem, sie muss sich mit ihnen auseinandersetzen.

Heinz Keßler, Berlin

Anmerkungen:

20 Heinz Keßler, geb. am 26. 1. 1920, war als Kind schon bei den roten Pionieren und beim Spartakus, denn seine Eltern waren beide Kommunisten. Sie waren während des faschistischen Diktatur in Deutschland im Gefängnis, im Zuchthaus und schließlich im KZ interniert, die Mutter z.B. in Ravensbrück. Heinz Keßler begann seine Lehre zum Maschinenschlosser 1934. Im Oktober 1940 Einberufung zur faschistischen deutschen Wehrmacht, am 15. Juni 1941 läuft Heinz Keßler zur Roten Armee über. Dort für die Sowjetunion aktive Antifa-Arbeit, Mitbegründer des "Nationalkomitees Freies Deutschland", Frontbeauftragter des Komitees an verschiedenen Fronten. Ende 1945 zurück in Berlin. Dort Leitung des Hauptjugendausschusses von Berlin, Mitbegründer der FDJ in der "Sowjetisch Besetzten Zone", Vorsitzender der FDJ Berlin, Sekretär des Zentralrats der FDJ. Ende 1955 Berufung zum Aufbau der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR, Chef der Luftstreitkräfte und der Luftverteidigung der NVA, dann Chef des Hauptstabes der NVA, schließlich Chef der politischen Verwaltung der NVA. 1984 Minister für Nationale Verteidigung.

Nach Wiederzulassung der KPD 1945 Mitglied des Zentralkomitees, seit Gründung der SED Mitglied des Parteivorstandes, dann des Politbüros. Am 24. 1. 1990 erste Inhaftierung (durch die Modrow-Regierung), Ende April 1990 Entlassung aus der Haft, am Zweiten Pfingstfeiertag 1990 zweite Inhaftierung durch die Bundes-Justizorgane, zweijährige Untersuchungshaft in Moabit, Prozess gegen Honecker, Strelitz, Albrecht und Keßler, Urteil für Heinz Keßler: 7 1/2 Jahre Haft, davon hat er 5 1/2 Jahre abgesessen, bevor er mit Bewährungsauflagen entlassen wurde.

Heute lebt Heinz Keßler als Strafrentner in Berlin und ist Mitglied in verschiedenen fortschrittlichen Organisationen, z.B. der GRH und der VVN. (wurde am 17. Februar 2009 Mitglied der DKP Berlin L.R.)

21 Interview geführt von Anna C. Heinrich, Frank Flegel und Michael Opperskalski am 12. 09. 2008, abgeschrieben und redigiert von uns und von Heinz Keßler korrigiert und autorisiert.

22 Dazu ein Beispiel: 1989 erschien in der DDR das Buch "Die Troika" von Markus Wolf. Und alle Zeitungen der DDR haben dieses Buch rezensiert, und zwar positiv. Die einzige Zeitung, die das Buch nicht rezensiert hat, war »Die Volksarmee«. Und Mielke hat mich dann angerufen und gefragt: "Warum rezensiert denn »Die Volksarmee« nicht das Buch? Das »Neue Deutschland« hat und die »junge Welt« und die »Tribüne«." Ich sage: "Ich bin Dir keine Rechenschaft schuldig, aber so lange ich hier Minister bin und was zu sagen habe, wird das Buch bei uns nicht rezensiert. Und wenn Du es genau wissen willst: Ich glaube, es ist feindlich." Großes Gejammer bei Mielke. Das war mir egal. Zum Schluss sagt er noch: Dann muss ich mit dem Generalsekretär reden." Er war auch dort. Bei einer anderen Angelegenheit, wegen der ich bei Erich Honecker war, fragt er mich am Schluss: "Sag mal, Mielke hat sich bei mir beschwert darüber, dass Du das Buch "Die Troika" nicht rezensierst." Sage ich: "Da hat er Recht." "Ja, willst Du es nun rezensieren?" "Nein!" "Warum nicht?" Ich sage: "Weil das konterrevolutionär ist." Da sagt Honecker zu mir: "Naja, das hat mit Dir ja keinen Zweck, Du bist so stur, Dich kenne ich. Mach, was Du willst."

23 Ich möchte zu diesem Thema eine sehr negative Erscheinung am Beispiel der FDJ zeigen. Als ich noch in der FDJ war, gab es von mir einen Spruch, gerichtet an die FDJ-Funktionäre: "Wenn Ihr früh mal drei Stunden später kommt, ist das nicht so tragisch, obwohl Pünktlichkeit schon sein muss. Aber wer nachmittags um fünf nach Hause geht, der ist kein FDJ-Funktionär, denn nachmittags um fünf geht die Arbeit mit der Jugend los. Aber es hat sich in der FDJ, ich sage mal in den letzten fünf oder sechs Jahren der Existenz der DDR, ein bürokratischer, organisatorisch auf hoher Ebenestehender, aber rein formaler Arbeitsprozess entwickelt, der auf das Wesen der Bedürfnisse der jungen Menschen ungenügend eingegangen ist. Ab den 80er Jahren wurden bestimmte politische Fragen nicht gestellt, obwohl wir doch früher, wenn wir nur die Kampagnen nehmen, angefangen bei JUpp Angenfort, über Max Reimann, über Vietnam, über Chile, über Angola eine Riesenarbeit geleistet haben. Damit hatte sich die DDR in der Welt ein hervorragendes Ansehen erworben.


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